Erinnerungen aus der Bauzeit

Bau-Finanzierung

Eine Gruppe von Eltern beriet seit Ende der 70er Jahre gemeinsam mit den Vorstandsmitgliedern, welche Summe der Baukosten eine Schulgemeinschaft von etwa 500 Personen für einen Neubau aufzubringen in der Lage sei. Bei damaliger rückläufiger Konjunktur wurde nach sorgfältiger Schätzung die Grenze auf 22 Millionen DM festgelegt. Seit Anfang der 70er Jahre war von der Schulgemeinschaft Geld in Form einer Bauumlage angespart worden. Dies zum beträchtlichen Teil von Eltern, deren Kinder einen Neubau nicht mehr als Schüler erleben würden.
Als im Herbst 1982 die Finazierungsverträge abgeschlossen werden mussten, standen 6 Millionen DM als Ansparung zur Verfügung, es gab die Zusage einer Spende von 1 Million DM, die Kreditaufnahme von 10 Millionen DM erschien bewältigbar, als von Bankfachleuten aus der Elternschaft vorgeschlagen wurde, statt der Tilgung regelmäßig in gleicher Höhe in einen neuen Bausparvertrag einzuzahlen.
Als Beitrag zur Bewältigung der Kosten wurde Ausführung von Bauarbeiten durch Mitglieder der Schulgemeinschaft mit etwa 1 Million angesetzt. Dieser Betrag wurde am Ende mit Einsparung an Kosten durch Elternmitarbeit in Höhe von 2 Millionen DM übertroffen. Dieses Finanzierungsmodell hatte zur Folge, dass die Schulgemeinschaft 2005 die für den Bau aufgenommenen Kredite ablösen konnte.

Den Anfang verpasst

Herr Wende, von Beruf Bauingenieur, hatte dankenswerterweise die Anleitung der Elternmitarbeit übernommen und dafür seine Stellung als Bauingenieur aufgegeben. Er bildete bereits seit langem den stetigen Pol des "Expertenkreises". Kurz vor den Ferien fragte er, was ich denn für die Ferien vorhabe. Na, ich dachte auf dem Bau zu helfen. Seine Frau habe nämlich im Preisausschreiben eine Ferienreise durch Schweden für die Familie gewonnen. Ob ich ihn vielleicht für die Betreuung der Elternmitarbeit vertreten könne. Wir kannten uns aus der Initiative für eine Waldorfschule in Bergedorf. Wenn er mir das zutraute - dann kann man das ja wohl vertretungsweise übernehmen?
Mit dem ersten Tag der Sommerferien 1983 setzte also die "Elternmitarbeit" ein. Etliche hundert Quadratmeter verlegter Gehwegplatten wurden aufgenommen und auf dem Westhof gelagert. Sträucher und kleine Bäume wurden sorgsam ausgegraben und in die Gärten von Eltern zur Pflege übergeben. Dann begann der "Umbau des Altbaus". Erst nach einer Woche kam ich dazu. Solange hatte mich die "Sommertagung" in Nienstedten beschäftigt.
Und es hatte ganz anders angefangen, als im Expertenkreis berechnet und besprochen worden war: die Fassadenelemente im Erdgeschoss sollten aus ihrer Verankerung gelöst und mit dem Kran aus dem Innenhof gehoben, draußen abgelegt, dort zerkleinert oder gleich im Ganzen abgefahren werden. Herr Kelting hatte an der Planung nicht teilgenommen. Er hatte aber jetzt deutlich gemacht, dass die Zerkleinerung an Ort und Stelle und Abfuhr des Schuttes einfacher sei. Und man brauche zudem die Kranstunden nicht zu bezahlen. Wie jetzt begonnen, musste fortgesetzt werden. Der Radlader war von einem Schülervater ausgeliehen worden, der ihn nun für den eigenen Betrieb benötigte. Herr Kelting fuhr mit Familie in die Ferien. Und die Bewältigung des Schuttes nahm zunächst alle Kräfte in Anspruch.

Scherbengericht

Der neuen "Reichen-Schule" wurde in der Weißenhofsiedlung nicht gerade Wohlwollen entgegengebracht. Die Hochhäuser waren im damaligen Trend überwiegend von Sozialhilfeempfängern verschiedener Nationalitäten besiedelt worden. Von Lehrern und Hausmeister der Realschule-Weißenhof war gegen die Waldorf-Schule Stimmung gemacht worden, obwohl für das Schuljahr 1983-84 nur noch 5 Schüler angemeldet worden waren.
An der Nordwestecke, dem Schulgrundstück vorgelagert, befand sich ein sogenannter Aktivspielplatz. Diese Spielplätze entstammten der Absicht, aggressiven Auseinandersetzungen zwischen Kindern und Jugendlichen in Gebieten mit ähnlicher Bevölkerung vorzubeugen und entgegen zu wirken. Vier junge Sozialarbeiter mühten sich engagiert, gegenseitiges Verständnis zwischen Kindern aus Familien von Sinti, Türken, Polen, Russen und Deutschen zu vermittteln. Neben der Beschäftigung der Kinder mit Hüttenbauten und Bastelübungen veranstalteten sie abwechselnd Nachmittage, an denen Essen nach den verschiedenen Landessitten zubereitet wurde. Oder Filme aus den Nationen gezeigt wurden. Auch gemeinsame Ausflüge und mehrtägiger Aufenthalt an der See gehörte zu ihrem Programm. Wir halfen mit kleinen Reparaturen, dem Verlegen einer Wasser- und Elektrizitätsleitung.
Die Kinder und Jugendlichen lebten aber die von Erwachsenen gehörten Vorurteile gegen die Gebäude aus. Drainagepumpen wurden außer Betrieb gesetzt, Absperrungen umgeworfen und Glasbausteine an der Rückseite der Turnhalle eingeworfen.
Mit den Spielplatzbetreuern wurde über die Beschädigungen beraten. Sie erklärten sich bereit, mit den Kindern zu sprechen und sie aufzufordern, sich bei uns zu melden, wenn sie beteiligt gewesen waren. Wider Erwarten stand wenige Tage später eine Gruppe 7 bis 12jähriger Jungen und Mädchen vor der Bürotür. "Wenn man etwas Dummes angestellt hat, dann muss man das wieder gut machen. Wie wär es, wenn ihr drei Tage auf dem Bau helft?" Sie maulten nicht mal, liefen nach Haus und sagten ihren Eltern, wo sie seien. Schnell waren sie wieder da. Für eine Leitung musste die Plasterung vom Parkplatz aufgenommen und gestapelt werden. Dabei zeigten sie sich recht anstellig und wurden von den Köchinnen auch noch zu Mittag eingeladen. Wir hatten drei Tage vereinbart. An das Verbot von Kinderarbeit hatte niemand gedacht. Da kein Unfall passierte und niemand Anstoß nahm, gab es kein Problem. Nur kamen von da an häufiger Kinder und fragten: "Hast du nicht wieder was zu tun? Es ist so langweilig!"

Für das leibliche Wohl

Eben war von den Köchinnen die Rede. Die Mittagspause mit einem schmackhaften Mahl war ein bewusst gesetzter Mittelpunkt des Arbeitstages. Pünktlich um 13 Uhr fand man sich erwartungsvoll in der Pausenhalle ein. An langen Tischen entwickelten sich während des Essens meist lebhafte Gespräche. Oft waren die Gesprächspartner einander in der Schule nie zuvor begegnet. Wie die Köchinnen es schafften, jeden Tag ausreichende Mengen bereit zu haben, blieb ein Rätsel. Denn selten war vorher bekannt, wieviele Helfer wohl kommen würden. Aber bei einem morgendlichen Rundgang konnte meist abgeschätzt werden, mit wie vielen Essern zu rechnen war. Manchmal musste dann noch eingekauft werden. Mit einem Geldbetrag hatte jeder sich zu beiteiligen. An manchen Wochenenden reichten Tische und Stühle nicht aus, weil soviele Helfer gekommen waren. Und dennoch sollte jeder satt werden. Bei den wechselnden Köchinnen waren auch die Geschmacksrichtungen interessant und abwechslungsreich.

Ablehnung des Schulgartens

Noch war ein Gelände für den Schulgarten nur erst geplant, als sich eine erregte Bürgerinitiative dagegen lautstark empörte. Der Leiter des Bezirksamtes Farmsen und der Leiter der Filiale Farmsen der Hamburger Spakasse, Jürgen Frahm, nahmen Verbindung mit dem Büro auf. Ich schlug die Einladung zu einer Versammlung in der Pausenhalle vor. Die Anzahl der Besucher war überraschend groß. Der vom Gartenbauamt bisher vorgeschlagene Entwurf wurde dargestellt. Danach erhielten die Anwohner Gelegenheit, ihre Einwände zu äußern. Vor allem schien die verhältnismäßig nahe Lage entlang der Rückseite des nächsten Hochhauses zu Befürchtung von Lärmbelästigung Anlass zu geben. Eine Bewohnerin äußerte, sie könne ja dann nicht mehr die von ihr geschätzten Ziergräser für die eigene Wohnung so nahebei holen. Herr Frahm hatte bereits mit dem Amt für Stadtentwässerung über ein Austauschgelände beraten und fragte, ob die direkte Nähe zur Schule unabdingbar sei. Wenn nicht, dann könne er als Tausch das etwa 300m entfernt am linken Ufer der Berner Au seit längerem brachliegende Gelände vorschlagen. Das sogar ein wenig größer sei. Um aller weiteren Auseinandersetzung aus dem Wege zu gehen, nahm ich den Vorschlag sofort an, obwohl ich mit keinem Kollegen Rücksprache nehmen konnte, da alle in den Ferien waren. So konnte der erste öffentliche Affront gegen die Schule schnell friedlich beigelegt werden.
Das Schicksal von Herrn Jürgen Frahm, einer liebenswerten freundlichen für das Gemeinwohl engagierten Persönlichkeit, endete erschreckend. Er wurde wenige Jahre danach entführt und in einem weitab liegenden Waldgebiet unvorstellbar grausam ermordet.

Höhenangst

Von Anfang der Sommerferien 1983 war Jens Henning aus der neunten Klasse nahezu jeden Tag am Bau. Er war etwas "verwöhnt", weil er von Herrn Kelting häufig auf den Radlader gesetzt worden war. Denn er hatte den Engpass zwischen den Betonstützen sofort ohne anzuecken gemeistert. Nach Abschluss der Abfuhr des Fassadenelementen-Schuttes saß er nun besonders gern auf dem alten Muldenkipper und fuhr Aushub für die Innenhoffundamente ab. Daraus entwickelte er einen etwa 3m hohen Sandberg auf dem Westhof. Als mir auffiel, dass das unüberhörbare Motorengeräusch des Muldenkippers kurze Zeit auf Volllast und dann kontinuierlich im Leerlauf lief, eilte ich raus, um nachzusehen. Jens stand mit der Maschine oben auf dem recht steil geböschten Sandberg! Er hatte sich dafür wohl auf einer Seite eine etwas weniger steile Rampe angelegt. Ich forderte Jens zunächst bemüht ruhig auf, langsam zurückzusetzen. Meine angespannte Sorge ließ aber erst nach, als er sehr langsam die Rampe rückwärts herunter fuhr, dabei nicht von der schmalen Rampe abrutschte, zu ebener Erde heil ankam und von mir eindringlich verwarnt worden war, so etwas zu unterlassen!

Fundsache

Kurz nach den Sommerferien 1983 machte Herr Loewe, Klassen-Lehrer und davor Architekt und nun erfahrener fachkundiger Berater des Kollegiums in allen Baufragen, darauf aufmerksam, die Gründungsarbeiten seien soweit fortgeschritten, dass eine Grundsteinlegung recht bald erfolgen müsse. Viel später sei so etwas kaum mehr sinnvoll möglich.
Alte ehemalige Lehrer waren zu Konferenzen eingeladen worden. Denn es ging um die Frage, ob der "alte" Grundstein, der 1954 beim Wiederaufbau der Schule in Wandsbek erneut gelegt worden war, wohl mitgenommen werden könne und solle. Mir selber schien dies zwar weder erforderlich noch besonders sinnvoll, da aber die alten Lehrer, die nach dem Kriege die Schule wieder ins Leben gerufen hatten, es wünschten, schloss ich mich Herrn Kelting und Herrn Wende zur Grundsteinsuche an, denn es gab keinerlei Aufzeichnungen oder Angaben wo dieser sich befände, es sei denn allein die wiederholte Mitteilung an uns damalige Schüler: "Wenn ihr das Schulhaus betretet, dann geht ihr in der Mitte des Eingangsflures über den Grundstein."
Zur Grundsteinsuche waren Fräulein Tavadia, Frau Hannelore Vierl, geborene Kittel, Herr Rudolf Blume, Frau und Herr Dauskardt hinzugekommen.
Beim Wiederaufbau durch die Stadt Mitte der 50er Jahre war der Grundriss erheblich verändert worden. So war der Eingang von der Bleicherstraße (spätere Kattunbleiche), an die Wandsbeker Allee verlegt worden. Im ehemaligen Eingangsbereich befand sich nun Büro und Hausmeisterraum. Wir beschlossen aber, hier zu suchen, denn ich erinnerte mich an eine Grundsteinfeier 1954, zu der sich auf der dafür gesperrten Bleicherstraße an einem Spätherbstnachmittag Lehrer und Schüler versammelt hatten.
Im Hausmeisterraum versuchte ich mich an die ehemaligen Dimensionen des Eingangsflures zu erinnern und markierte mit Kreide dessen geschätzte Mitte. Wir hatten einen Kompressor gemietet, auf dem Schulhof aufgestellt und mit ausreichend langem Schlauch den Presslufthammer angeschlossen. An der markierten Stelle setzte ich an und dann wechselten Herr Kelting, Herr Wende und ich uns beim Stemmen ab. Wir waren auf etwa einen Meter Tiefe angelangt, als mir der Meißel plötzlich durchrutschte. Die Öffnung in einen Hohlraum war aufgebrochen. Die Öffnung wurde erweitert, bis mit der Hand der Hohlraum abgetastet werden konnte. Ich fühlte eine mehrkantige Form mit glatter Oberfläche innerhalb des Hohlraumes aus Beton. Kurz darauf konnte ein Dodekaeder aus Kupferblech aus der erweiterten Öffnung entnommen werden, der vom Meißel ein wenig eingebeult war. Dieser enthielt ein grob zugeschnittenes Messingblech, um das ein Stück Transparentpapier gewickelt war. Spuren von Schrift waren nicht darauf zu erkennen. Die Blechflächen wurden sorgfältig gerichtet und wenige Tage später wieder verlötet.
Dieser Dodekaeder aus Kupferblech wurde am 24. September 1983, nachdem ein echtes Pergament mit den Namen aller Schüler und Lehrer darin untergebracht und das Verschlussblech aufgelötet worden war, in den Würfelhohlraum im großen Betondodekaeder gelegt. Anschließend setzte Herr Loewe die zwei Verschlusssteine mit Mörtel ein. Die dreikantigen Verschlusssteine waren so schwer, dass sie mit dem Kettenzug angehoben und abgelassen werden mussten.
Alle Maße am Betondodekaeder und der auf der Spitze stehenden Würfelaussparung darin waren nach Wellenlängen-Beziehungen musikalischer Intervalle ausgeführt und möglichst genau nach Norden ausgerichtet worden, unter Berücksichtigung der tieferen Temperatur im Erdreich.
An die Stelle des Grundsteins in Wandsbek wurde ein Würfel aus Kupferblech eingesetzt, in den vor dem Zulöten eine Abschiedserklärung auf Pergament von der Lehrerin Frau Birnstein gelegt worden war. Die Spitzendiagonale dieses Würfels war halb so lang wie die des Würfelhohlraumes im Betondodekaeder in Farmsen. Der Würfelhohlraum in Farmsen wurde sozusagen als tiefere Oktave zu Wandsbek gedacht.

Belastungsprobe

Am Nachmittag vor dem Grundsteinfest beauftragte Herr Kelting mich, ein Podest für fünf Personen um den Dodekaeder aus Beton herum zu bauen für die Redner und als Lager für die Verschlusssteine. Dieses errichtete ich aus 10er Kanthölzern und Schalbrettern in Höhe des Dodekaeders aus Beton. Nach der Begrüßung der zahlreich versammelten Schulgemeinschaft traute ich meinen Augen nicht! Denn völlig unerwartet erkletterten etwa 40 Personen des Elternchores das Podest. Von dem Gesang konnte ich nichts aufnehmen, denn ich fürchtete sehr für die Haltbarkeit bei solcher Überlastung. Wie sich erfreulicherweise zeigte, war die Sorge unnötig gewesen.

Mit dem Schrecken davon gekommen . . .

Ursprünglich war die Elternmitarbeit auf Umbauten im Altbau beschränkt. Ab Herbst 1984 wurden auch Aufträge im Neubau übernommen. Unter anderem Frostschutzabdeckungen von frischem Beton und Stahlbauarbeiten zur Fertigstellung der Bühnendecke und von Beleuchtungsklappen in der Saaldecke. Verständlicherweise bestand die Bauleitung darauf, dass Elternmitarbeit erst nach Ende der Firmenarbeitszeit im Neubaubereich beginnen dürfe. So waren wir auf die Abend- und Nachtstunden beschränkt.
Für die Bühnendecke waren zehn jeweils 12m lange Stahlträger (U20) in die Stahlkonstruktion des Saaldaches einzusetzen.
Über einen Kettenzug verfügten wir bereits, nur: dessen Kettenlänge reichte nicht aus. Ein Schülervater lieh aus seinem Maschinenbestand eine Seilwinde. Diese wurde an geeignet hochgelegenem Punkt in der Dachträgerkonstruktion ausreichend sicher befestigt. Die U-Träger waren mit Bohrungen versehen, so dass sie unverrutschbar sicher mit passendem Schäkel angeschlagen, geschwenkt und gedreht werden konnten. Das "Komando" hatte Herr Kelting übernommen. Ulf Schneider, Schüler der 12ten Klasse, bediente die Winde. Er hatte bei vielen anderen Arbeiten besondere Umsicht und Zuverlässigkeit bewiesen. Neun der Stahlträger waren bereits an ihrem Platz sicher befestigt. Der Zehnte war wie der Erste wegen abnehmender Höhe der schrägen Verkleidung am vorderen Ende abgewinkelt. Das hintere Ende war bereits bis in die vorhandene Konstruktion hinein gezogen worden, als Herr Kelting mich aufforderte: "Geh in die Einrüstung und befestige das abgewinkelte Ende, damit es jetzt nicht umschlägt!" Für die Zimmererarbeit an der Saaldecke war der ganze Saal bis zur Arbeitshöhe etwa 10m hoch eingerüstet worden. Ich kletterte in einen der nächsten Gerüsttürme, warf eine Seilschlaufe über das Trägerende, zog diese zu mir heran und sicherte das Trägerende am Gerüst. Und kletterte wieder hinunter. Herr Kelting gab die Anweisung: "Auf!" Die Winde lief an. Es gab einen Ruck, einen kurzen, scharfen Knacks, dann Ruhe. Bis auf das Geräusch der leerlaufenden Winde und des regelmäßig an das Gehäuse schlagenden Seilendes.
Das Seil war direkt hinter der Zughakenbefestigung gebrochen.
Es fiel kein Wort. Ein Handhebelseilzug wurde am hinteren Ende des Trägers angeschlagen. Als der sicher saß, kletterte ich wieder ins Gerüst, löste vorsichtig Stück um Stück das Halteseil, während der Träger langsam in seine Position gezogen wurde. Geredet wurde nicht mehr. Jeder machte sich still auf den Heimweg.
Bei manchem späteren Gespräch wurde gemutmaßt, was hätte passieren können, wenn der 12m lange Träger abgestürzt und in das Gerüst geschlagen wäre.

Köstliche Überraschung

Während der ermüdenden späten Stunden ging ab und an so gegen 23 Uhr eine munter gerufene Aufforderung durch die verschiedenen Arbeitsbereiche: "Alle in die Pausenhalle!"
Ziemlich flott kam man dort zusammen und versammelte sich um Tische, auf denen sich dann mehrere große Schüsseln mit köstlichem Obstsalat angerichtet fanden! Einige Frauen hatten sich tagsüber zu Einkauf, Zubereitung und Transport verabredet, um auf diese Weise die ermatteten Gemüter und erlahmenden Kräfte wieder zu aufzufrischen. Was ihnen jedesmal mit überraschendem Erfolg gelang!

Engelbert Heyerhoff

Während der Sommerferien 1983 waren die Fundamente für die Altbau-Innenhofüberdachung soweit, dass der verbindende Stahlbetonrahmen von 120cm Höhe und 16cm Stärke zwischen die vier Eckfundamete einzufügen war. Die Schalungsplatten waren bereits nach der Statikzeichnung vorbereitet. Nur: solche Dimensionen hatte keiner von uns je ausgeführt. Da blieb nur: Engelbert Heyerhoff fragen! Er war ehemaliger Schüler und hatte als Zimmerer die nötige Erfahrung. Also Anruf am Donnerstagmittag, einer der Söhne am Telefon: "Unser Vater ist in Dänemark. Wir wissen aber nicht, wann er zurückkommt." Erneute Nachfrage am Abend, die Tochter: "Wir haben unserem Vater gesagt, dass Sie angerufen haben. Wann er zurückkommt, das wissen wir aber nicht!"
Ich war am Freitag damit beschäftigt, die Werkstatt in der Schule nach dem Nachmittagsunterricht aufzuräumen. Da wurde es an einem der Werkstattfenster plötzlich dunkel. Ich öffnete es. Davor stand Engelbert Heyerhoff im schwarzen Motorraddress. "Wo kommst du denn her?" - "Du hast doch bei mir angerufen. Was wolltest Du denn?" Nun schilderte ich, dass wir mit unserem Schalungs-Problem nicht weiter wüssten. Am Sonnabendmorgen stand Engelbert auf der Baustelle, teilte die Arbeiten ein, zeigte die auszuführenden Vorgänge und überprüfte die Ausführung. Es waren vier ehemalige Schüler gekommen, alle Bauhandwerker, die den Armierungs-Stahl zuschnitten, abkanteten und sogleich einbauten, wenn eine Innenschalung stand. Danach wurde sogleich die Außenschalung angebracht. Hier waren zwei Mütter angestellt, die die zugeschnittenen Kunststoff-Abstandsrohre durch vorgebohrte Löcher mit Rundeisen und "Fröschen" zu verkeilen hatten. Dank ihrer Sorgfalt ging beim Schütten und Rütteln keiner der Keile lose. Nach der Ausschalung stand alles wie eine Eins!
Mehr als ein Vierteljahr blieb Engelbert Heyerhoff auf der Baustelle. Er richtete den Innenhofdachstuhl, stellte komplizierte Verkleidungen her und leitete fachkundig viele weitere Arbeiten an und baute das Landarbeiterhaus auf Gut Rotenhausen für Schulzwecke um. Ende der 80er Jahre wurde er für eine Reihe von Jahren Hausmeister für die Schule. Bis er verhältnismäßig früh nach längerem Herzleiden starb.
Als junger Zimmerergeselle hatte er sich in den 50er-Jahren lange Zeit an den Sanierungsarbeiten am Goetheanum beteiligt.

Unfälle

Vom Amt für Arbeitsschutz war eine Unfallversicherung für alle freiwilligen Bauhelfer angeordnet worden. Bei Betreten der Baustelle hatte jeder sich dafür in das Baubuch einzutragen. Während der Sommerferien 1983 wurden Fenster und Fassadenelemente im Erdgeschoss des Innenhofes ausgebaut. Die Fenster wurden gelagert. Die Fassadenelemente wurden an Ort und Stelle mit dem Presslufthammer zerkleinert, dann der Schutt mit dem Radlader aus dem Innenhof herausgefahren. Die Öffnung zwischen den Betonstützen war 10cm breiter als der Radlader. Herr Kelting, der meist fuhr: "Das nennt man Präzision am Bau!"
Bis auf Muskelkater und Tennisarm waren dabei keine Verletzungen aufgetreten.
Dann begann zur Vorbereitung der Innenraum-Veränderungen der Abbruch von Leichtbau-Raumdecken. Dabei gerieten manche Helfer so in Rage, dass es zu Knieverletzungen kam, als jemand rückwärts von den Arbeitsböcken sprang.
Anfang November hatte Herr Heyerhoff die Leimholz-Ständer und -binder soweit, dass die Balkenlage mit Nagel-Winkeln befestigt werden konnte. Bis kurz nach 17 Uhr hatte ich ausgehalten. Dann fühlte ich mich von der Kühle so klamm und unsicher, dass ich Schluss machte. Am nächsten Morgen teitle Herr Wende mitf mit: "Gestern Abend brauchten wir noch den Unfallwagen. Herr Knipping war beim Versetzen der Bohlenlage auf ein überstehendes Bohlenende getreten. Das Brett schlug hoch. Er stürzte ab. Und fiel rückwärts in den Sand, mit dem Kopf zwei Handbreit neben einer Betonkante in der Schmiede. Das Brett auf ihn drauf. Gehirnerschütterung, ein Fuß und mehrere Rippen gebrochen."
Einige Wochen hatte es gedauert, bis Herr Knipping wieder zur Weiterarbeit kommen konnte.

Lange Stahlprofile wurden in die Schmiede getragen. Beim Einbiegen in die Tür passte der Hintermann nicht auf. Druck kam auf das lange Stahlprofil. Herr Vatjarapan, der vorn trug, wurde von dem langen Helbel abgedrängt , kam ins Stolpern, schlug um und brach den linken linken Unterschenkel.

Im Neubau gibt es wenige Räume, deren Wände Rechtwinklig zueinander stehen. So musste das Indudtrie-Eichenparkett für die Ränder schräg zugeschnitten werden. Dafür war eine gößere Schlittenkappsäge angeschafft worden. Die kurzen Holzstücke des Parketts lösten sich gelegentlich von der unteren Montageverklebung, wurden vom Sägeblatt erfasst und herausgeschleudert. Meist ging es gut. Aber einmal verkantete sich so ein kurzer Abschnitt so unglücklich, dass Herr Heidorn seine linke Hand nicht schnell genug zurückziehen konnte und sich arge Verletzungen auf der Innenfläche der Hand zuzog.

Der Holzverkleidungen in den Klassenräumen nahm sich eine verschworene Gruppe an. Sie pflegten Freitagnachmittag anzurücken. Brachten Arbeitsböcke und Bohlenauflage in den jeweiligen Raum. Holten Kompressor und Pressluftnagelgerät und "Munition" herbei. Dann wurde das Vorgehen beraten. Dazu hatte einer der Deckengruppe, von Beruf Braumeister, kleine Probeflaschen der jeweils aktuellen Spirituose mitgebracht. Nach erfolgter Leerung wurden die Flaschen hinter den Abschrägungen der Decke untergebracht.
An einem etwas späten Freitagnachmittag kamen zwei aus der Deckengruppe etwas aufgeregt zu mir in die Werkstatt: "Kannst du uns mal eben das Büro aufschließen?" In heimlicher Eile kamen nacheinander alle der Deckengruppe ins Büro.
Später erfuhr ich: Die Bretter für die Schrägen waren zugeschnitten. Sie waren beim Nageln. Einer reichte zu, der andere hielt das Nagelgerät, den Auslösehebel gezogen, in der Hand, um so sofort beim Aufsetzen des Gerätes auf das in Position gehaltene Brett den ersten Nagel auslösen zu können. Natürlich gegen die Vorschrift: erst soll das Gerät fest auf das Brett aufgesetzt werden, damit der Sicherheitshebel am Auslass für die Nägel freigibt, dann mit dem Finger den Auslöseschalter betätigen. Bei Handwerkern allerdings allgemein üblich: den Finger fest auf dem Abzug und durch festes Aufsetzen den Schuss auslösen.
Hier waren die Bewegungen der beiden Helfer ineinander geraten. Der das Brett anlegen sollte, hatte beim Bücken mit seiner Seite den Sicherungshebel am Nagelauslass berührt. Und jetzt saß der Nagel zwischen zwei seiner Rippen. Vorsorglich hatten alle erstmal die Eintragung in die Versicherungsliste nachgeholt. Mit welcher Ausrede die Verletzung beim Notarzt erklärt worden ist, weiß ich nicht mehr. Aber glücklicherweise war keine Entzündung gefolgt und die Verletzung schnell geheilt.

Dauerhafter Erfolg

Anfang1984 kam die Frage auf, ob es vielleicht lohne, Klassenraumtüren für den Neubau in Eigenleistung herzustellen. Eine Gruppe bewährter Bauhelfer fand sich für dies Aufgabe zusammen. Besonders bekannt waren Herr Bornemann, dessen Sohn Martin und Herr Kalinowski. Meine Sorge war, dass gerade die qualifiziertesten Mitarbeiter für die vielen Anforderungen, die noch auf uns zukommen würden, damit gebunden wären und nicht mehr zur Verfügung stehen würden. Die Türengruppe aber setzte ihren Plan in die Tat um. Nicht nur sonnabends und sonntags, auch während der Woche traf man sich. Holz wurde bestellt, zugeschnitten und gehobelt. Dann die Verbindungen angearbeitet, eine Verleimpresse organisiert, Sperrholzplatten zugeschnitten. Und die ersten Türblätter wurden aus der Presse genommen und bis zum Einbau sorgfältigst plan gestapelt gelagert.
In den bisher vergangenen 25 Jahren gab es wiederholt Probleme mit den von einem Fachbetrieb montierten Stahlzargen. Mehrere mussten mit schwierigen Manövern neu im Mauerwerk befestigt, einige ersetzt werden. Kein Türblatt brauchte bisher repariert oder gar ausgetauscht zu werden. Eine eindrucksvolle Dauerbewährung der Arbeit der Türengruppe!

Die Deckengruppe

Die Decken-Gruppe fand bereits im Abschnitt über Unfälle Erwähnung. Am Freitagnachmittag trafen die Mitarbeiter nacheinander je nach Dienstschluss ein. Begannen damit, die Fichtenbretter in den Maschinenraum. Diese Bretter waren vom Lieferanten aus 45mm starken Bohlen frisch an der Bandsäge getrennt worden. Damit hatten sie eine saubere Seite mit quer verlaufenden Schnittspuren erhalten. Die Bretter wurden auf versetzte Querfugen abgelängt. War etwa die halbe Deckenbreite verkleidet, trat für einige Zeit verdächtig Stille ein. Kein Wort war zu vernehmen. Kein Schlag des Pressluftnaglers. Kein Umstellen der Bohlen und Böcke. Irgendwann siegte Neugier. Beim öffnen der Tür klirrte Glas. Herr Schmidt, Braumeister in Oldesloe, hatte seine große schwere schwarze Aktentasche zuschnappen lassen. Aber die ganze Klicke saß rund um einen Tisch. Jeder vor sich ein, zwei, drei Probefläschchen Osloer Korn. "Halt ja die Klappe!" murmelte jemand. Ein anderer: "Die leeren, die stehen hinter den Schrägen in den fertigen Klassen!" Manchmal wurde die Deckenverkleidung bis Samstagabend fertig. Aber etliche erforderten auch ncch den Sonntagvormittag oder das folgende Wochenende, wenn die Schrägen komplizierter waren.
Na - wenn da mal eine schräge Verkleidung abgenommen werden muss -

Herr Fröhlich am 30. Januar 2010: "25 Jahre in Farmsen"

Die enge Zusammenarbeit der Beteiligten hatte zu vielen Freundschaften geführt. Herr Theodor Fröhlich, Schülervater, hatte uns alle wieder und immer wieder aufs Neue zu weiterer Beteiligung an Arbeiten angeregt. Zur 25-Jahr-Feier, am 30. Januar 2010, hatte er eine Ansprache vorbereitet:
"Im Nachhinein waren diese zwei Jahre fast uns allen "Damaligen" ein besonderes Lebensgeschenk, wie ich es persönlich dieser Art nie wieder erleben durfte - und wenn ich die vielen Gespräche der letzten 25 Jahre, die sich mit andren aus dieser Zeit immer mal wieder ergaben, erinnere - empfanden es viele, viele Eltern, Lehrer und auch einige Schüler von damals ähnlich oder auch genau so. Und wenn wir uns heute - auch durch Zufall - irgendwo (sei es auf der Straße, im Restaurant, im Konzert) begegnen, lächeln wir uns vertrauensvoll, ja vertraut und fast freundschaftlich zu. Du und ich - Sie und ich: Wir waren uns einmal für eine besondere Aufgabe unseres Lebens ganz nahe."

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